Ostern auf den Schluchtensteig

Karfreitag früh, 6Uhr stehen Karin, Meinrad, Marina, Torsten und unser Hund Paul noch etwas schlaftrunken, aber schon voller Vorfreude in Renchen-Ulm, um zu einem weiteren Etappenlauf zu starten: den Schluchtensteig von Wehr nach Stühlingen in drei Tagesetappen

Fröhlich, munter, zum Scherzen aufgelegt, aber doch auch angespannt fahren wir gemeinsam zum Start nach Wehr, es ist inzwischen 8Uhr, die Sonne ist aufgegangen und wir erwarten einen herrlichen Frühlingstag.
Die Hoffnungen und Erwartungen sind doch sehr verschieden; während es für unseren Routinier Meinrad eben ein weiterer 3-Tageslauf in der Vorbereitung auf den Trans-Alpine-Run ist, stehen Marina und Karin vor ihrer Premiere des Etappenlaufens, für Torsten und mich soll es die ersehnte Rückkehr ins Ultralaufen nach langer Verletzungspause sein … und Paul, na ja, der hat sowas ohnehin noch nie gemacht, er hat zwar gemerkt, dass heute irgendwie irgendwas ganz anders ist als sonst, aber ob er wirklich ahnt, was da auf ihn (und uns) zukommt?

Nach einem kurzen Startfoto an der Tafel zum Schluchtensteig stapfen wir los, um der Unruhe in den Beinen und in den Köpfen endlich zu entkommen. Wir verlassen Wehr auf einem kleinen Pfad und beginnen langsam, aber stetig den Aufstieg an der Wehra entlang.

Diese schlängelt sich geruhsam, verspielt plätschernd durch den Wald, sie ist fast den ganzen Tag der stets zur Verfügung stehende erfrischende Wassernapf für Paul.

Wir wissen, dass uns bis zu unserem heutigen Etappenziel in St. Blasien viele Höhenmeter bevorstehen, also packen wir's gemütlich und wohldosiert an, walken alle Anstiege (und davon gibt’s nun wahrlich viele), traben dann auch wieder gemütlich, stets der Wehra folgend. Immer wieder wechseln wir zwischen breiten Waldwegen und schmalen Pfaden, das frische Grün des Waldes schützt uns vor der Sonne, so dass wir lange in angenehmer Kühle laufen können.

Das hätte gerne so bis St. Blasien weitergehen können, aber etwas Abenteuer muss schon sein! Was eignet sich da besser, als die Sperrungsschilder wegen Waldarbeiten zu ignorieren und schnurstracks in die Folgen fleißiger Waldarbeiter zu marschieren.
Ich glaube, die haben noch die nächsten 2 Wochen zu tun, bis der Weg wieder frei ist, … wir waren also reichlich beschäftigt, uns durch Wurzeln, Äste, Stämme und dem Suchen nach dem eigentlichen Weg nicht zu verirren. Auf jeden Fall ist das ein Gelände, in dem Größe nicht unbedingt ein Vorteil ist, vier Beine aber unbedingt! Während Paul das ganze recht lustig fand und sich wohl gefragt hat, warum wir so langsam sind, hatten wir die Gelegenheit, das Balancieren auf dem Schwebebalken in freier Natur zu üben.

Nachdem Koordination, Beweglichkeit und Mut zum Risiko ausreichend bedient waren, wartete dann auf der anderen Straßenseite gleich wieder ein hübscher Anstieg entlang unserer lieblichen Wehra auf uns, da wurde es uns auch im Wald ordentlich warm und wir sehnten uns die erste kurze Pause herbei. Einen schönen Platz fanden wir dann auch auf einer Anhöhe mit Blick ins Tal. Anschließend ging's auf einem wunderbaren Trail weiter Richtung Todtmoos.
Bis dorthin ging's weiter viel bergan, wunderschöne Trails luden immer mal wieder zum Laufen ein, der Aufwärtstrend zwang uns aber meist zum walken.

Nach gut 24km erreichten wir Todtmoos, die ersten Sonnenschirme signalisierten uns die wohlverdiente Pause bei Kaffee und Kuchen, bevor es dann auf die letzten 18km Richtung St. Blasien ging.
Wir waren nun doch schon einige Zeit unterwegs, das Loslaufen nach der Pause fiel dann doch schon etwas schwerer und es warteten immer noch einige Aufstiege auf uns, v.a. Der letzte auf den Lehenturm stieß nicht bei allen von uns auf ungeteilte Freude, auch wenn's dort ganz schön war, … wenn man dann mal oben war.

Von dort aus jedoch wurden wir in den letzten 4 km gemütlich auf Trails abwärts mit einem herrlichen Blick auf St. Blasien belohnt: mächtig erhebt sich der Dom in der Stadtmitte.

Im Hotel Bellevue werden wir überaus freundlich begrüßt, die hübschen Zimmer und die familiäre Atmoshäre tun uns wahrlich gut, … v.a. Aber die heiße Dusche bringt die Lebensgeister wieder in Schwung. So allmählich dämmerte es auch Marina: sie hatte heute ihren ersten Marathon geschafft, einfach so und das bei guten 1.600Hm auf knapp 43km, Hut ab und Kompliment!


Auf das Klingeln des Weckers hätten wir verzichten können, aber die Sonne war ja auch schon auf, also ging's für uns dann nach einem reichhaltigen Frühstück auch wieder los. Familie Alexius hat uns mit ausreichend Proviant versorgt, um einen weiteren Tag auf dem Schluchtensteig überstehen zu können.
Nach einem kurzen „Stadtbummel“ verließen wir St. Blasien und begaben uns nun in Richtung Wutach und Wutachschlucht; die Sonne meinte es auch heute wieder sehr gut mit uns, strahlendblauer Himmel und gerade morgens sehr lauffreundliche Temperaturen spornten uns am ersten heftigen Aufstieg direkt nach St. Blasien an. Nur gut, dass ich mich vorher nie mit dem Höhenprofil beschäftige, … das Frühstück wäre nur halb so gut gewesen. Dafür hatten wir einen guten Teil unserer Höhenmeter sozusagen am Stück serviert bekommen und konnten uns auf ruhigere km freuen.
Zunehmend schmaler wurden allmählich die Wege, Pfade, Trails wechselten sich ab und wir konnten nun auch die Hochebenen des Schwarzwaldes auf freien Flächen sehr genießen. Nach gut einem Tag im Wald war es eine willkommene Abwechslung, den Blick auf den Feldberg schweifen zu lassen, Ausblicke gab es reichlich und wir ließen sie uns nicht entgehen.
In Erinnerungen schweifend suchten und fanden Meinrad und ich Stellen, an denen wir vor 3 Jahren auch schon gelaufen oder gerastet hatten, erzählten uns noch von den jeweiligen Erinnerungen und mussten so manches mal darüber lachen, wie unterschiedlich Erinnerungen doch sein können.
Immer wieder mussten wir nach Schildern suchen, der eine oder andere kurze „Abstecher“ war schon drin, insgesamt kamen wir aber ganz gut mit der Beschilderung zurecht, wenn man diese nicht in Verbindung mit den Streckendaten brachte, … das hätte dann irgendwo im Nirgendwo geendet.
Unser heutiges Etappenziel sollte die Schattenmühle in der Wutachschlucht sein, 38km lagen vor uns; lange war der Wald, die Ruhe und ein paar vereinzelte Wanderer unsere einzigen Begleiter, das änderte sich mit dem Erreichen des Schluchsees schlagartig. Hier waren wohl alle Ausflügler hergekommen, vorbei war's mit Beschaulichkeit, schier endlos erschien die halbe Umrundung des Schluchtensees und was von oben herab aus dem Wald noch reizvoll aussah, zermürbte unsere müden Glieder dann doch etwas.
So zügig wie möglich retteten wir uns wieder in uns vertraute ruhigere Gefielde und beschlossen, im Wald eine kurze Pause zu machen und dann weiter bis Lenzkirch zu gehen, … juhu! Dort sollte es dann auch wieder Kaffee (und Kuchen) geben.
Davor bot es sich aber noch an, sich an einer schönen Aussichtsstelle die Bänder mal ordentlich zu dehnen, … der Tag hätte ja sonst allzuschön werden können.
Dennoch schafften wir es alle bis Lenzkirch, … die verführerischen Sonnenschirme wurden von Meinrad beinahe wie eine Fata Morgana schon km-weit vorher erkannt und zielsicher angesteuert.
Nach einer gemütlichen Pause konnten wir's ruhig angehen lassen, es lagen nur noch 13km vor uns und der ersehnte Einstieg in die Wutachschlucht.

Bald hatten wir's dann nur noch mit Trails zu tun und den ersten Einblicken in die Schlucht, die zunächst noch zahm und verschlafen im Flussbett liegt. Den Trail verfolgen wir nun wirklich über Stock und Stein, Wurzeln und allerlei Stufen rauf und runter, die sonnige Abendstimmung taucht die beginnende Schlucht in ein mildes Licht und wir fallen dann beinahe plötzlich Stufen hinab in die Schattenmühle. Das Wegkreuz davor als Ende eines Kreuzweges mit der Inschrift „es ist vollbracht“ lässt uns schmunzeln und auch wir wissen, für heute haben wir's geschafft.
… und was bleibt an einem solchen Abend? Duschen, Essen, Schlafen, …


Der Morgen des letzten Tages beginnt nicht für alle gut, Marina hatte keine gute Nacht, es ist ihr schlecht, wir überlegen, wie wir uns organisieren können und wollen und entscheiden uns schließlich dafür, einfach loszulaufen und zu sehen, wie es Marina im Verlauf geht.
Tapfer läuft sie los, wir hinterher, … bloß nicht abreißen lassen! Paul ist heute auch etwas müder noch als gestern, er ist halt auch schon seit zwei Tagen unterwegs.
Die Schlucht gewährt uns eine Ahnung davon, was hier geboten ist, wenn mehr Wasser in der Wutach ist. Die Trockenheit der letzten Wochen vermittelt uns eine zahme und freundliche Wutachschlucht, wir kennen sie von unserer ersten Durchquerung bei starkem Regen als beinahe überquellende launige Schlucht, glitschig und schwer zugänglich.
Bei Trockenheit sind die Wege gut zu gehen, wenn auch steinig, verwurzelt und schmal. Wir schlängeln uns entlang der Felshänge, wechseln zwischen Trails am Fluss und Pfaden am Fels entlang, über viele Brücken, rauf und runter. Es ist Ostersonntag, wieder traumhaftes Wetter und wir sind nicht die einzigen, die die Idee hatten, durch die Schlucht zu laufen. Marina geht es allmählich etwas besser, sie kämpft super-tapfer.
Wir verbringen gute 20km in der Hauptschlucht, bevor wir nach dem Sägewerk in den ruhigeren, weniger spektakulären Teil einbiegen. Nach einer kurzen Pause machen wir uns auf Richtung Blumberg, erreichen das letzte wirkliche Highlight der Schlucht:
hier müssen wir einige Hm über eine Leiter erklimmen, Paul nimmt die Umgehung über den Hang, bevor wir dann oben direkt in Blumberg landen und ein wenig freundliches Gewitter uns willkommen heißt. Wir suchen unser Heil im nächsten Sonnenschirm-Restaurant, ohne allzusehr nass geworden zu sein.
Hier stärken wir uns und halten Kriegsrat: wer läuft weiter, wer nicht, … es liegen noch 18km vor uns und es ist klar, dass wir auch heute kaum vor 19Uhr unser Ziel erreichen werden.
Das Wetter hat ein Einsehen mit 5 LäuferInnen und einem Pelztier, die Sonne kommt zum Vorschein und wir machen uns alle wieder auf den Weg, … wir wollen alle gemeinsam ankommen.

Es folgt ein Stück Weg durch Felder und Kämme entlang, tratschend verpassen Torsten und ich den Abzweig und schwupps sind wir viel zu weit in die falsche Richtung gelaufen, merken das natürlich reichlich spät; nun beginnt für uns eine regelrecht Aufholjagd, denn die anderen haben die Augen an der richitgen Stelle gehabt und sind längst weit vor uns. Für uns heißt das nun Laufen, was das Zeug hält, die anderen wissen schließlich nicht mit Sicherheit, dass wir hinter ihnen nicht vor ihnen sind. Sie wundern sicher natürlich, warum wir nicht auf sie warten.
Die Dynamik ist klasse, die anderen beeilen sich, um nicht noch weiter „zurückzufallen“ und wir rennen, um sie einzuholen, … irgendwann haben wir das dann auch geschafft, hat eigentlich sogar Spaß gemacht, aber natürlich auch Körner gekostet.

Es wird sehr zäh für einige von uns, Blasen, Überlastungsschmerzen, Erschöpfung und Ermüdung lassen auch die Gespräch zunehmend verstummen, wir stapfen die letzten Km durch den Wald, rechnen die km so zurecht, dass die Motivation und die Bereitschaft, durchzuhalten, bleibt und nähern und langsam aber sicher Stühlingen. Und plötzlich sind's nur noch 4km und es ist klar: wir werden es also wirklich alle schaffen. Die Stimmung wird ausgelassener, aus Jux und Tollerei rennen Meinrad und ich eine Rampe hoch, Torsten schaut auf den letzten Metern noch so nebenbei einen Oldtimer an und dann sind wir durch: Stühlingen ist erreicht, alle sind zufrieden, glücklich und sehr sehr stolz.
Mein persönlicher Respekt gilt allen voran Marina, die regelrecht über sich hinaus gewachsen ist und eine Zähigkeit an den Tag gelegt hat, die ihrergleichen erst mal finden mussen. Gratulation natürlich auch an Karin, die ihren ersten Etappenlauf super hinbekommen hat und uns mit ihrem herrlich trockenen Humor so manchen Lacher entlockt hat.
Meine Bewunderung auch an Torsten, der praktisch von 0 auf 118 gestartet ist.
Meinem lieben Bruder einen herzlichen Dank für die gute Führung und die Umsicht unterwegs.
Und nicht zuletzt unserem Paul, der sich jetzt Marathon-Hund nennen darf, der all die Hindernissen wie z.B. Gitterroste, Leitern, … fröhlich und unkompliziert gemeistert hat und die nächsten 2 Tage einfach schlafen darf.

Wieder einmal ein toller Lauf! Fortsetzung folgt?!


Angela Gräßer